von Michele Kirner-Bernoulli
Die Preisträger
»Publikumspreis Der Lyrikstier 2017«: Nikolaus Högel (Feldafing)
2. Platz beim »Publikumspreis Der Lyrikstier 2017«: Reinhard Giebelhausen (Weilheim)
3. Platz beim »Publikumspreis Der Lyrikstier 2017«: Leni Gwinner (Herrsching)
»Teilnehmerpreis Der Lyrikstier 2017«: Regine Juhls (Kautokeino, Norwegen)
»Sonderpreis Der Lyrikstier 2017«, verliehen von der Redaktion des Magazins »Bayerns Bestes«: Katja John (Leinburg-Weißenbrunn)
»Jurypreis Der Lyrikstier 2017«: Holger Küls (Verden)
2. Platz beim »Jurypreis Der Lyrikstier 2017«: Nadeshda Müller (Luzern, Schweiz)
3. Platz beim »Jurypreis Der Lyrikstier 2017«: Renate Schön (Augsburg)
»Ehrenpreis Der Lyrikstier 2017«: Christine Reithmeier und Norbert Harter (Gasthof Schuster, Hochstadt / Weßling)
Die Mentoren
Anton G. Leitner (Tassilo-Kulturpreis 2016 der Süddeutschen Zeitung)
Sabine Zaplin (BR- und SZ-Kulturjournalistin)
Die Jury
Melanie Arzenheimer (1. Lyrikstier-Preisträgerin 2009, Redaktion »Bayerns Bestes«)
Dr. Norbert Göttler (Bezirksheimatpfleger von Oberbayern)
Dr. Erich Jooß (Präsident der Münchner Turmschreiber)
Besondere Gäste
Anna Münkel (15-jährige Nachwuchslyrikerin aus Zankenhausen)
Michael Sailer (Bühnenoriginal »Vereinsheim«, Schwabing)
Moses Wolff (Münchner Kultkünstler »Vereinsheim«, Schwabing))
Hochstadt (Gemeinde Weßling) – Am Samstag war im kleinsten der drei Weßlinger Ortsteile zum neunten Mal in Folge im wahrsten Sinne der Stier los: Beim beliebten Dichterwettstreit »Der Lyrikstier« dichteten diesmal 25 Poetinnen und Poeten rund um die Heimat. Die Kandidatinnen und Kandidaten fanden ihr Zuhause in der Natur, der Muttersprache, in Erinnerungen an die Mutter oder formten sie mit den Händen. Angereist waren die Poetinnen und Poeten aus ganz Deutschland, Norwegen, der Schweiz und Italien. Jeder von ihnen sollte sich heute mit einem Begriff auseinandersetzen, der bis vor kurzem noch verpönt gewesen war, beschrieb Dr. Norbert Göttler das emotional aufgeladene und oft missbrauchte Wort. »Nicht überall wo Heimat drauf steht, ist auch Heimat drin«, wandte sich der Juror an die Zuschauer im Gasthof Schuster. Als Bezirksheimatpfleger von Oberbayern ist Dr. Göttler ja ein Experte, wenn es um dieses Thema geht.
Emotionen weckte die von den Kandidaten mit dem Teilnehmerpreis gekürte Regine Juhls aus Norwegen. Sie reiste mit ihrem Gedicht »Muttersprache« mit den Zuhörern in ihre ostpreußische Kindheit. Damals, als die Mutter sie »dammlije Marjell« rief und der Vater mit den Leuten »in der heimatlichen Mundart« sprach, wenn sie samstags ihren Lohn abholten – und Regine Juhls Stimme brach, als sie vortrug, wie sie in den Nachkriegsjahren »selbst | nach dem Lohn« anstand.
»und der Tag sich nach hinten biegt«
Die herausragende Qualität aller Gedichte machte es den Juroren und dem Publikum bei der Wahl nicht gerade leicht, darin waren Veranstalter Anton G. Leitner und seine Frau Dr. Felizitas Leitner, die den Abend moderierte, einer Meinung. So war es nicht erstaunlich, dass die Juroren nach eigenen Worten »mehrere Favoriten« hatten. Sie entschieden sich schließlich für Holger Küls aus Verden, der sich dichterisch mit Praha, also Prag, befasste. Dabei habe er die »dichte, knappe und kompakte Nähe zu dem Thema« bewahrt, begründete Juror Dr. Erich Jooß die Wahl. Und das Schlussbild überzeugte vollends, wenn »der Tag sich nach hinten biegt«. Auf den zweiten Platz setzten die Juroren Nadeshda Müller, die sich in »Second Hands« mit ihrer Familie auseinandersetzte. In ihren Reimen haderte die Schweizerin damit, dass sie im entscheidenden Moment nicht nachfragte, »als sie das Haus abgerissen | Das Haus mit den Wänden | Verstrickt eine Familie«. Dritte wurde die Augsburgerin Renate Schön mit ihrem Gedicht »Die Tabakdose«. In dem Behälter lag eine Zigarre, die in Opas Zahnlücke »passte wie || angegossen. Eingeschlafen war er damit | für immer«.
Den »Publikumspreis Der Lyrikstier 2017« errang Nikolaus Högel, der mit Humor und in charmantem Bayerisch das »Voixfest« auf die Schippe nahm. Der Feldafinger malte in seinen Versen vertraute Bilder wie »Ma pläärt und brüllt | scho fast wia bläd | dass ma im Festzejt | si vaschtäd« oder »Am Stammtisch | draht a geistiger Diaffliaga | seine Rundn | üba da viertn Mass«. An die zweite Stelle setzten die Zuschauer mit ihrem Votum Reinhard Giebelhausen, der die Heimat in Weilheims Natur aufspürte und wunderbare Wortkreationen schuf: »lichtblättriger windgeruch« und »blauschichtiger wolkenhimmel, | fernflirrender sommerdunst | vergeht errötend gegen abend«.
Vom Teichpumpenblues und von einer dementen Großmutter
Auf Platz drei wählte das Publikum Leni Gwinner. Die Herrschingerin tastete sich von einer ganz anderen Seite an das Thema heran, schlüpfte zum Vergnügen der Gäste in die Rolle einer Teichpumpe, die Tag für Tag pünktlich um sechs Uhr fünfunddreißig den Dienst antritt. »Dabei bin ich schon seit Jahren hier unten doch völlig allein | Schlammig Wasser macht sich dann verbraucht auf seine Reise | Zieht matschig, gatschig, quatschig und sehr langsam seine Kreise«.
Zum zweiten Mal nach 2016 wurde der »Sonderpreis Der Lyrikstier« ausgelobt. Der vom Magazin »Bayerns Bestes« gestiftete und von der Redakteurin Melanie Arzenheimer überreichte Gutschein ermöglicht Katja John aus Leinburg-Weißenbrunn ein Wellness-Wochenende für zwei Personen im Altmühltal. Die Teilnehmerin überzeugte durch die traurig-schöne Erinnerung an ihre Großmutter, an »Himbeerpudding, Memory | und Apfelspalten«. Das war noch vor der Arthrose, vor der Demenz – »und jetzt lauschst du | dem Froschkönig von CD | damals last du für mich«.
So viel also zu den Preisträgern – aber Sieger war eigentlich jeder der Angetretenen. Etwa Martin Ebner aus Aachen, der einst seine Eltern auf einen Sockel stellte, bis er selbst in die erhöhte Vaterrolle geriet: »scheinriese werde | ich im spiegel | meiner kinder«. Alle Kandidatinnen und Kandidaten betrachteten das vorgegebene Thema poetisch anspruchsvoll. Die Berlinerin Babette Werth träumte davon, »Ungebändigt || Noch einmal auf den sonnen- | gewärmten Sandsteinen« zu hüpfen. Gerhard A. Spiller aus Ilsede wandte seinen Blick nach oben, denn »Wolken am Himmel | ziehen behäbig dahin | wie sanfte Riesen.« Die Schweizerin Ruth Loosli wiederum spiegelte durchaus kritisch den Umgang mit Flüchtlingen in ihrem Land, wollte von ihren Landsleuten wissen »Möchtest du aus deinem Land | fliehen oder lieber selber | Flüchtende aufnehmen?«.
Etablierte Schriftsteller und Nachwuchsautoren auf einer Bühne
Wie immer kamen auch bereits etablierte Schriftsteller zu Wort. Anton G. Leitner sorgte mit Gedichten aus seinem aktuellen Band »Schnablgwax: Bairisches Verskabarett« für Unterhaltung, Melanie Arzenheimer betrieb »poetische Heimatkunde« zum Schmunzeln, und die erst 15-jährige Anna Münkel beeindruckte in »Sonnenschein grün-blau« mit einer klaren, schönen Sprache, rezitierte vor den hingerissenen Anwesenden humorvoll den Streit der Nachbarn über Fallobst. Zu den vielen i-Tüpfelchen zählten ohne Frage die Schwabinger Bühnenurgesteine Michael Sailer und Moses Wolff, die vor allem in München durch ihre Auftritte auf der Kult-Lesebühne Vereinsheim Schwabing und in der gleichnamigen Fernsehsendung im BR bekannt wurden. Mit kurzen kabarettistischen Einlagen heizten sie dem Publikum kräftig ein.
Auch das leibliche Wohl der Zuschauer kam nicht zu kurz. Wie immer seit dem ersten Lyrikstier vor neun Jahren war das Buffet in der Pause ein Gaumengenuss erster Güte. Einer von vielen Gründen, warum die treuen Wirtsleute und Lyrikstier-Unterstützer Norbert Harter und Christine Reithmeier am Abend den vierten von Marcel Mur in Frankreich geschmiedeten Stier als »Ehrenpreis« entgegennehmen durften.
Kurz vor Mitternacht verließ ein gut gelauntes und begeistertes Publikum den Gasthof Schuster – und die gute Stimmung ist wohl auch der Grund, dass die Veranstalter den Saal laut Felizitas Leitner heuer »zwei bis drei Mal hätten füllen können«. Damit am zehnten Geburtstag des Poetenwettstreits »Der Lyrikstier« auch wirklich alle Interessierten eine Karte ergattern, wird der Lyrikstier am 27. Januar 2018 in Gautings Kulturzentrum Bosco losgelassen. Das Thema könnte »Religion« sein. Muss aber nicht, betonte Leitner, dem auch dann wieder Sabine Zaplin als Co-Mentorin zur Seite steht, denn zum Jubiläum wäre auch ein offenes Thema möglich. Es bleibt also spannend im Reich der lyrischen Stierkämpfe.